Obstler – Kulturgut mit Imageproblemen
Wer hat zum ersten Mal kennerhaft den Duft eines edlen Destillats eingesogen, prüfend die Klarheit bewertet, genussvoll die ersten Tropfen über die Zunge rollen lassen? Wir wissen es nicht! Soweit sich der Forschungsstand überblicken lässt, beginnt die Geschichte des „brennenden Wassers“ im Italien des 12. Jahrhunderts. Aber auch andere Kulturkreise kannten lange davor verschiedene Arten der Destillation. Das Destillieren von Obstprodukten ist ein Teil der Kultur von Ländern, die an die Alpen oder ihre Ausläufer grenzen. Vor Jahrhunderten wurde von Ungarn über Elsass bis in die Normandie Obst verarbeitet, wobei immer die Verwertung vor der Veredlung stand. Ausnahmeprodukte wie Calvados oder Grappa haben eine wesentlich längere Tradition als der Obstbrand. Französische Erzeugnisse, allen voran Cognac, hatten (und haben) ein besseres Image als der „ordinäre Obstler“.
Das negativ besetzte Image des Obstler kommt aus der Vergangenheit, als teilweise „Kraut und Rüben“, also verschiedene Obstsorten minderer Qualität, verwertet wurden. Der klassische Obstler wird aus Birnen und Äpfeln hergestellt, auch ein Teil Zwetschke kann dabei sein. Das Obst wird gemeinsam eingemaischt und entweder über die Kolonne oder im Rau- und Feinbrand-Verfahren destilliert. Speziell im Spirituosenbereich findet man immer wieder Produzenten, die ausgezeichnete Obstler herstellen.
Einige Brenner haben durch die Bezeichnungen „Obst-Cuvée“ oder „Obst-Blend“ eine Imagesteigerung bewirkt und verschneiden unterschiedliche Fruchtsorten wie Kernobst, Steinobst oder sogar Beerenfrüchte und Getreide mit Steinobst. Das Ergebnis sind hochwertige, besonders aromatische Destillate, die mit dem herkömmlichen Obstler nichts gemein haben. Obstler von 100-%-Destillateuren sind Aromabilder unserer Kultur, als Bild der Streuobstwiesen in „flüssiger“ Form. Es gibt auch geschützte Herkunftsbezeichnungen wie den Südtiroler und den Fränkischen Obstler.
Quelle: www.world-spirits.com © by WOB