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Zeit-Geist und Geschmack zwischen Matterhorn und Großglockner

kaeser3Ohne Veränderungen gibt es keinen Fortschritt. Für Aristoteles, den bedeutendsten griechischen Philosophen, hatte die griechische Tragödie für den Zuseher eine reinigende Wirkung, die so genannte Katharsis. Hier drängt sich ein Vergleich mit dem Weinskandal in Österreich auf, der wie ein Sturm die Spreu vom Weizen in der Winzerlandschaft trennte. Dieses reinigende Gewitter war der Start für die heutige Wein(hoch)kultur im Land an der Donau. Im Sog dieser Aufbruchstimmung startete 1992 die „Destillata“ im Edelbrandbereich mit demselben Ziel: Verbesserung der Spirituosenkultur, in Österreich und überall auf der Welt.

Die Destillata sollte für viele unbekannte Brenner ein Sprungbrett zum Erfolg werden, und sie wurde zum Meilenstein für mehr Sinn und Verstand rund um edle Spirits. Zu dieser Zeit gab es in Österreich bereits einige wenige Produzenten, die sich einer kompromisslosen Qualitätsphilosophie verschrieben hatten, doch seit dem Zeitpunkt wurden sie eigentlich links und rechts von einer Generation junger, innovativer Brenner überholt. 

Blättert man in der Schweiz diese Zeit-Seiten zurück, wurde in erster Linie Kirsch in rauen Mengen für die Lebensmittelindustrie hergestellt. Ähnlich wie beim Rum könnte man beinahe in High-Ester-Kirsch und Low-Ester-Kirsch unterscheiden – ideal für Geschmacksverstärker in der Industrie, aber ungeeignet für den feinen Gaumen wahrer Kenner. Anfang der 1990er Jahre wurde auch die Schweiz vom Qualitätsbazillus ergriffen, wobei einer der „Überträger“ Dr. Peter Dürr von der Eidgenössischen Forschungsanstalt in Wädenswil war, der auch bei der Destillata mitarbeitete. Er gründete – gemeinsam mit einigen „Hardlinern“ – im Jahre 1997 das „Schweizer Schnaps Forum“ nach österreichischem Vorbild, ebenfalls mit dem Ziel, die Schweizer Brenner auf den Qualitätsweg zu führen. Im Dezember 1998 wurde die „Distiswiss“ gegründet, eine Vereinigung der drei Schweizer Berufsverbände der Spirituosenbranche. Man wird sehen, ob in der Welt der Eitelkeiten die Vernunft siegen wird und die beiden Organisationen in Zukunft einen gemeinsamen Weg bestreiten.

Das Jahr 1999 hatte in Schweiz eine ähnliche Wirkung wie der Weinskandal in Österreich. Aufgrund neuer bilateraler Verträge wurde die Gesetzgebung geändert und der Gewichtszoll aufgehoben. Ausländische Brenner, wie etwa Vittorio Capovilla aus dem Veneto, exportierten in großen Gebinden Grappa oder Edelbrand in die Schweiz, wo abgefüllt und verkaufsfertig gemacht wurde. Mit der Aufhebung des Gewichtszolls wurde die Steuer homogenisiert – Produkte von Schweizer Destillerien werden seither mit demselben Steuersatz bemessen wie aus dem Ausland stammende, bereits in Flaschen abgefüllte Spirituosen. An der Angebotsvielfalt in Bars oder Vinotheken erkennt man diese Veränderungen.

Die Auswirkung dieser staatlichen Steuermaßnahmen kam einem Rütteln an den Grundfesten des Matterhorns nahe. Ganze Berufsgruppen wie Abfüllereien verschwanden beinahe vom Erdboden, viele Brennereien mussten Konkurs beantragen oder wurden verkauft, so etwa Fassbind und Pomodor. Die internationale Konkurrenz blies den Brennern wie ein kalter Sturm ins Gesicht, nur wer ein wenig Ahnung vom Segeln hatte, konnte den Wind nutzen und richtig in Fahrt kommen. Es begann ein Umdenken: Nicht mehr Masse statt Klasse, sondern Qualität statt Quantität war angesagt. Engagierte Brennereien wie Ruedi Käser oder Dettling hatten nun freie Fahrt für die Positionierung ihrer Erzeugnisse am Markt.

Dettling gehört auch zu jenen Schweizer Unternehmen, die eine Teilnahme an internationalen Prämierungen nicht scheuen und die dort errungenen Lorbeeren geschickt für das Marketing einsetzen. Glänzende Erfolge in Gold oder Silber tragen nicht nur zur Imageverbesserung von „Einzig Kirsch“ bei, sie bringen – wie die World-Spirits-Klassifizierung „World-Class Distillery 2006“ auch wirtschaftlichen Erfolg. Wurden vor Jahren noch große Mengen Kirsch an die Lebensmittelindustrie geliefert, hat man heute nur mehr kleine, auserlesene Confiserien als Kunden.

Große Brennereien wie etwa Z’GRAGGEN beliefern weiterhin Großkunden, doch der Kirschgeschmack ist generell schlanker geworden. Für die Industrie muss mit Ester-Produkten verschnitten werden, damit die gewünschten Kakao- und Röst-Aromen in Schokolade verpackt werden können. Auch die Österreicher haben begonnen, nach Schweizer Vorbild aromatische Destillate in köstliche Hüllen zu verpacken.

Ein Hans Dampf in allen Gassen oder Daniel Düsentrieb ist der Aargauer Ruedi Käser – mit einer großen Spielwiese zwischen Apfelbäumen, Heu, Geisten und neuerdings auch Whisky-Fässern. Innovation und Vision sind für den umtriebigen Schlossbesitzer kein Fremdwort. Die Nachfrage nach seinem „braunen Gold“ kann kaum befriedigt werden, und schon bastelt er an neuen Produkten für die Küche: Gemüse und Kräuter in Geistform zum Flambieren. „Das Problem dabei ist, das Aroma im Gericht zu erhalten und dieses nicht wie ein Feuerwerk abzufackeln“, so Käser. Knoblauch, Rosmarin, Koriander oder Lavendel aus der Flasche ist Zündstoff für eine wahre Aromaexplosion am Teller.

Österreich und die Schweiz verbinden also nicht nur die Nationalfarben Rot und Weiß, sondern auch Geist und Geschmack haben Ähnlichkeiten – wenn auch ein bisschen zeitversetzt.

Zum Autor:
Wolfram Ortner – ein polarisierender Querdenker – betreibt die WOB-Destillerie im Nock-Land. Er war Gründer der Destillata, die er 1998 verkaufte, und veranstaltet seit nunmehr vier Jahren den „World-Spirits Award“ auf der GAST in Klagenfurt (Österreich). Grundlage der Bewertungen bei dieser Spirituosenprämierung ist das eigens entwickelte WOB-System, das inzwischen auch von der „Distiswiss“ offiziell verwendet wird. Mehr Infos unter: www.world-spirits.com

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